SO ent-wickelst du dich!

Es liegt schon in dem Wort an sich: ent-wickeln. Offenbar hat das auch etwas damit zu tun, dass wir uns von etwas lösen müssen. Aber von was? Wir entwickeln uns nur dann, wenn wir uns von den Erwartungen anderer freimachen und herausfinden, was uns wirklich bewegt. Ein Prozess, der uns letztlich auch zu unserem persönlichen Purpose führt. 

Was ist Entwicklung?

Gerald Hüther, Deutschlands bekanntester Neurobiologe mit dem ich mich in letzter Zeit näher beschäftigt habe, wirft die Frage auf: Wie entwickeln wir uns eigentlich? Und wenn wir uns ent-wickeln, dann müssen wir uns doch vorher auch in etwas ver-wickelt haben, oder? Tatsächlich verwickeln wir uns alle von Kindesbeinen an. Denn Verwicklungen entstehen durch Druck, Belohnung, Bestrafung, Formung durch andere, wie Eltern, Lehrer, Chefs oder die Gesellschaft im Allgemeinen. Im Versuch, uns anzupassen und den Erwartungen gerecht zu werden, verwickeln wir uns also. Und je erfolgreicher wir in der Gesellschaft sind, desto verwickelter oder angepasster sind wir. Problematisch wird es dann, wenn wir darüber vergessen, wer wir eigentlich sind und was wir selbst wirklich wollen. Das wieder zu entdecken und auszuleben, ist Ent-wicklung.  

Wie gelingt Entwicklung?

Gelingen kann das nicht unter Druck. Deshalb scheitern übrigens auch so viele Mitarbeiterentwicklungen, in denen ein Vorgesetzter seinem Mitarbeiter sagt, wie er oder sie sich entwickeln sollte. Denn Entwicklung bedeutet ja gerade nicht, wieder eine Erwartung zu erfüllen. Ich entwickle mich nur dann ernsthaft, wenn ich Lust habe und neugierig bin, zu entdecken wer ich bin und was ich wirklich will. Das heißt auch, dass ich wieder in Berührung mit Anteilen von mir selbst kommen muss, zu denen ich lange keinen Zugang hatte, eben weil sie fest in den Erwartungen anderer „eingewickelt“ sind. Um sich davon zu befreien, braucht es manchmal eine regelrechte Dilemma-Situation: Mehr Geld oder mehr Freizeit? Mehr Geld oder was für die Umwelt tun? … Auf diese Weise schaffe ich wieder ein Bewusstsein dafür, was mir wirklich wichtig ist. Konkrete Hilfestellung dazu findest du bspw. auch in meinem kostenfreien Karriere Kick-Starter oder in den 7 Leitfragen zur Selbstreflexion.

Entwicklung bedeutet, seinen Platz in der Welt zu finden und sich von den Erwartungen anderer loszulösen

Wann entwickle ich mich am stärksten?

Das Auftauchen der Fragen “Wer bin ich?” und “Was will ich?” hat auch mit den natürlichen Entwicklungsphasen zu tun, die wir durchlaufen. Die Lebensphasen des Menschen lassen sich grob dreiteilen. 1. In der rezeptiven Phase bis Mitte 20, geht es darum zu Lernen wie die Welt funktioniert. In unseren frühen 20ern beginnen wir dann bereits zu experimentieren, wo unser Platz in der Welt ist. Diese Entwicklung verstärkt sich dann in der 2. expansiven Phase bis Mitte/Ende 40. Diese Phase ist geprägt durch das Kämpfen, das Ringen mit uns selbst und mit anderen. Hier lösen wir uns von den Erwartungen der anderen und finden unseren eigenen Platz. Wir setzen uns mit unseren Werten auseinander, definieren unsere Ideale und setzen uns nicht nur für uns selbst, sondern für „die Sache“ ein. Hier findet also Ent-wicklung im oben beschriebenen Sinne statt. Die 3. sozialen Phase ist durch Weisheit geprägt. Wir sind schon situiert, leben unsere eigene Visionen und können nun etwas an die Gesellschaft zurückgeben und andere unterstützen. Wir erkennen was wesentlich ist und können unser Leben im größeren Kontext betrachten. 

Rein demographisch stecke ich also voll in der expansiven Phase! Und tatsächlich: nach meinen ersten erfolgreichen Jahren im Konzern habe ich begonnen, meinen Platz zu suchen und meinen persönlichen Weg zu finden. Dafür musste ich mich viel mit mir selbst beschäftigen und wieder in Kontakt mit teils verschütteten (oder „verwickelten“) Anteilen in mir kommen. Das ist mir als kopflastigem Menschen nicht leichtgefallen aber nur so konnte ich überhaupt meinem persönlichen Purpose auf die Spur kommen.

Kein Purpose, keine Entwicklung?

Deshalb geht für mich echte Entwicklung auch nicht ohne Purpose. Neulich hat mich eine Kundin im Erstgespräch gefragt, ob das Entdecken des eigenen Purpose, „in Kontakt mit sich selbst kommen“, etc. nicht ein wenig spirituell sei. Aber im Grunde geht es hier doch um zwei uralte und bodenständige Fragen: Wer bin ich? Und was will ich wirklich? Wenn ich das herausgefunden habe, dann setzt das meine Entwicklung frei und gibt ihr eine stimmige Richtung.

In diesem Sinne kann man Purpose natürlich zweckgerichtet sehen: „Wozu“ mache ich das alles? Wozu bin ich hier? Die Richtung des eigenen Handelns und Entscheidens ergibt sich aber nicht nur durch den Zweck, sondern auch durch die persönliche Herzensangelegenheit. Und das ist die zweite Seite des Purpose. Sie wird allerdings häufig durch die “Zweckgerichtetheit erschlagen”, um es in Hüthers Worten zu sagen. Aber für mich ist Purpose am Ende immer das ganz persönliche Anliegen, das mich innerlich antreibt und mir auch die Kraft gibt, mich von Erwartungen anderer zu emanzipieren. Wir alle haben und brauchen ein solches Anliegen bzw. ein Streben nach etwas. Sonst kann unser Hirn schlichtweg nicht funktionieren. Unser Hirn benötigt Orientierung: wo will ich hin?

Wie kann ich Entwicklung begünstigen?

Wir können die Entwicklung unserer Kinder begünstigen, wenn wir sie früh in ihren Bedürfnissen und Stärken bestärkenKinder haben anfangs ihren eigenen Kopf und eine sehr klare Vorstellung davon was sie wollen und was nicht. Aber dann lernen sie, sich anzupassen. Jetzt wo ich selbst Kinder habe, ist mir klar, wie wichtig es ist, sie bereits jetzt in ihren eigenen Bedürfnissen und Stärken zu bestärken und sie zu ermutigen, nicht immer mit den Erwartungen anderer konform zu gehen. Puh, das ist ein echter Drahtseilakt, weil ich mich natürlich auch von der eigenen Erwartungshaltung nicht frei machen kann.

Wie erlebst du das?