Viertagewoche – Wie willst du leben und arbeiten?

Sie wird gerade heiß diskutiert, die Viertagewoche. Der Hauptgrund dafür ist „Mehr Zeit für mich selbst“, gefolgt von „Mehr Zeit für meine Familie“ und „Mehr Zeit für Hobbies“ (Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 11.06.2023).

Wie kann ich neben einem Vollzeit-Job noch ICH sein?

Wie ist das bei dir? Wofür würdest du den extra Tag nutzen und was genau würdest du dann tun wollen?

Diese Frage spielt zum Beispiel auch im Rahmen der beruflichen Neuorientierung eine wichtige Rolle. Denn auf der Suche nach dem ideal passenden Job, geht es natürlich im Kern um die Tätigkeit, die Aufgaben, die Verantwortung, aber es geht auch um das geeignete Arbeitsmodell: Wie willst du leben und arbeiten?

Unter meinen Kunden kommt hier am häufigsten der Wunsch nach mehr Work-Life-Balance und Sinnhaftigkeit auf.

Ich will mich nicht mehr für den Job kaputt machen. Und die Arbeit muss für mich Sinn machen.

Das sagte mir erst letzte Woche eine Kundin. Das hat nichts mit mangelnder Leistungsbereitschaft zu tun, wie es der Generation Y (Millenials, geboren 1981 – etwa 1996) und Z (geboren zwischen etwa 1997 bis 2012) oft unterstellt wird. Im Gegenteil, meine Kundin ist sehr ehrgeizig und leistungsbereit. Aber sie ist sich auch ihrer persönlichen Ressourcen bewusst und der verschiedenen Rollen, die sie einnimmt. Und da gibt es eben neben der Rolle der „jungen, berufstätigen Frau“ auch die Rolle der „Ehefrau“, „Freundin“, „Tochter“ etc. Um diese Rollen auszufüllen, möchte sie sich bewusst Freiräume schaffen. Wie so viele Gen Y und Z Vertreter stellt sich ihr die Frage: „Wie kann ich neben einem Vollzeit-Job noch ICH sein?“

ICH-Sein, das ist der zentrale Aspekt, der hinter dieser Debatte um neue Arbeitsmodelle steht: Was ist mir wirklich wichtig? Was entspricht mir? Und wie verleihe ich dem Ausdruck? Deshalb verfolge ich im Coaching den Purpose-Ansatz, mit dem wir genau darauf die persönlichen Antworten meiner Kunden finden.

Viertagemodell = mehr Work-Life Balance?

Das Bedürfnis meiner Kundin nach mehr Work-Life-Balance trifft hier jedenfalls genau den Zeitgeist.  Eine neue Spiegel-Umfrage hat ergeben, dass, neben dem Gehalt, Work-Life-Balance und eine sinnstiftende Tätigkeit die wichtigsten Faktoren bei der Jobsuche sind.

Wor-Life_Balance und Sinnhaftigkeit sind nach dem Gehalt die wichtigsten Jobfaktoren

Ob ein Viertagemodell aber die Lösung für mehr Work-Life Balance darstellt, das muss jeder für sich selbst beantworten, denn das hängt natürlich auch stark vom Modell der Viertagewoche ab. Diskutiert wird zum einen eine Reduzierung der Wochenarbeitsstunden bei gleichem Gehalt und gleichem Output, also ein 100-80-100 Modell: 100% Gehalt, 80% Arbeitszeit, 100% Produktivität. Ich denke jeder, der schon einmal in Teilzeit gearbeitet hat, kann zumindest unterschreiben, dass in 80% Teilzeit, 100% Produktivität möglich sind. Für viele Teilzeit-Eltern ist das ohnehin bereits gelebte Praxis. Würden diese 80% zukünftig als Vollzeit gesehen, dann könnte das viel Druck rausnehmen. 

Kaffeepausen fallen bei einer Viertagewoche oft hinten überDenn so sehr ich meine 80%-Teilzeit nach meiner ersten Elternzeit auch geschätzt habe, habe ich doch gemerkt, dass dadurch der Druck, zu leisten größer wurde. Die Benchmark sind schließlich nicht andere Teilzeit-Mütter, sondern weiterhin die Kollegen, die Vollzeit arbeiten. Mittagessen, Kaffeepausen mit den Kollegen, diese Dinge fielen bei mir oft hinten über, um meine Arbeit zu schaffen. Schade, denn genau diese Dinge machen ja auch den Spaß an der Arbeit aus! Bei der Frage, welches Arbeitsmodell das geeignete für mich ist und so lange die Viertagewoche noch als Teilzeitmodell betrachtet wird, sollte ich mir also auch überlegen, was macht für mich Arbeitszufriedenheit aus und in welcher Umgebung möchte ich arbeiten?

Meiner Kundin habe ich außerdem die Frage gestellt: Was möchtest du in deiner zusätzlich gewonnenen Freizeit tun? Wie willst du konkret mehr Balance in deinen Alltag bringen? Denn ein zusätzlicher freier Tag muss nicht zwangsweise mehr Balance bedeuten. Mein freier Freitag wurde zum Beispiel schnell zum „Haushalts-Freitag“. Ich habe den Wochenendeinkauf erledigt, das Haus in Ordnung gebracht, Arzttermine erledigt. Damit war die entspannende Wirkung eines freien Tages sofort verpufft. Eine Änderung musste her. Ich habe dann begonnen, jeden Freitag einen Malkurs zu besuchen und mir so bewusst Zeit für mich genommen. Anschließend habe ich meine Kinder früher aus der Kita abgeholt und so viel Qualitätszeit gewonnen.

Was genau möchtest du für dich tun?

Qualitätszeit war auch ein gutes Stichwort für meine Kundin. Denn sie wollte nicht einfach nur mehr Zeit für sich und ihre Kinder haben, sondern mehr „Quality-Time“, Zeit also, die für persönliche wie auch gemeinsame Aktivitäten reserviert war.

„Was genau möchtest du für dich tun? Was möchtest du gemeinsam mit deinen Kindern tun, für das die aktuell die Zeit fehlt?“ So haben wir das Bedürfnis meiner Kundin immer stärker eingegrenzt, um schließlich ganz konkrete Maßnahmen daraus abzuleiten. So ließ sich ihr Bedürfnis nach mehr Qualitätszeit für sich und ihre Familie zum Beispiel besser mit einem Arbeitsmodell vereinbaren, in dem sie ihre 80% auf 5 Tage verteilte, statt auf nur 4. Denn so fand sie schon im Alltag am Nachmittag die Zeit, etwas mit ihren Kindern zu unternehmen, wie Rollschuh fahren oder einen Zoobesuch. Und am Abend hatte sie noch genügend Zeit und Energie, einen Sportkurs zu besuchen, weil der Tag weniger dicht war. Je genauer ich also weiß, was genau ich verändern und tun möchte und was mir auch genügend Energie verleiht, desto zielgenauer kann ich mein persönliches Arbeitsmodell daraus ableiten.

Es gibt im Übrigen noch eine zweite diskutierte Variante der Viertagewoche, die leider dem pseudo 80%-Teilzeitmodell von oben gleicht. Denn in dieser Variante bleiben die Wochenstunden gleich, werden aber auf 4 Tage verteilt. Die Arbeit muss schließlich erledigt werden, dann eben an 4 Tagen! Also genau das, was viele Eltern, die sich entscheiden in 80% Teilzeit zurückzukehren, tagtäglich erleben. Deshalb ist es für mich auch nicht wirklich eine Option. Der Arbeitstag wird dann länger oder intensiver und was ist dann mit der Kinderbetreuung oder dem Wunsch nach mehr Freizeit/Hobbies? Die Regenerationszeit an den freien Tagen wird jedenfalls größer sein, was dem Wunsch nach mehr Zeit für mich oder meine Familie dann doch wieder im Wege steht.

Ich bin absolut kein Gegner der Viertagewoche aber ich glaube es ist wichtig, sich genau zu überlegen, welchen Wunsch ich damit verbinde und wie die Umsetzung sein sollte. Wenn ich das weiß, dann bin ich in der Lage auch bereits meine aktuellen Arbeitsbedingungen zu verhandeln, ungeachtet der Diskussion um die Viertagewoche, die in der Fläche sicher nicht so schnell kommen wird.

Viertagewoche, Purpose-Suche, … – alles eine Generationenfrage?

Ist die Viertagewoche nun Ausdruck einer arbeitsscheuen Generation? Sind die Bedürfnisse der Generation Y und Z wirklich so verschieden von denen der Generation X und Babyboomer? Ich glaube, die Bedürfnisse unterscheiden sich nicht so stark voneinander. Der Unterschied ist eher, dass sich die Mitarbeiter der Gen Y und Z sich ihrer Bedürfnisse bewusster sind und das Selbstvertrauen haben, diese auszusprechen. Schließlich blicken sie angesichts Klimawandel, Rentenlücke, etc. einer weit weniger rosigen Zukunft entgegen als noch ihre Vorgänger Generationen. Das führt schlicht zu der Frage: Wozu soll ich meine ganze Energie in die Arbeit stecken? Die Purpose-Frage drängt sich diesen Generationen also gewissermaßen auf.

Und ein weiterer Punkt ist entscheidend. Wir befinden uns aktuell in einem Arbeitnehmer-Markt, der es Arbeitssuchenden ermöglicht, ihre Bedingungen selbstbewusst zu verhandeln und nicht jeden erst besten Job annehmen zu müssen. Laut Gallup-Studie glauben deutlich mehr als die Hälfte der in Europa Befragten, dass es aktuell eine gute Zeit sei, den Arbeitgeber zu wechseln, ein Zuwachs von 12 Prozentpunkten. Deutschland liegt dabei mit 56% genau im europäischen Durchschnitt. Diese Statistik erlebe ich tatsächlich auch in meinen Coaching Anfragen, wo viele ihre aktuellen Arbeitsbedingungen oder Tätigkeiten nicht mehr so hinnehmen wollen und sich stattdessen aktiv mit der Frage auseinandersetzen: Was passt zu mir? Was ist mir wichtig?

Ich will aber auch eine Lanze für die Arbeitsgeberseite brechen. Denn Arbeitssuchende dürfen nicht vergessen, dass viele Arbeitsgeber inzwischen alarmiert sind, wenn die Arbeitsbedingungen zum zentralen Aspekt im Bewerbungsprozess werden. Schließlich haben sie sich ja noch nicht selbst von der Einsatz- und Leistungsbereitschaft des Bewerbers überzeugen können. Jobsuchende sollten also ebenfalls auf die Balance von Arbeit/Leistung und Freizeit achten und ihr Leistungsversprechen einlösen.

Wenn du ebenfalls deine persönliche Antwort auf die Frage suchst: Wie kann ich neben meinem Vollzeit-Job noch ICH sein? dann lass und gerne unverbindlich sprechen!